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Von Mord und Totschlag: Geschichte-Exkursion in die Ludwigsburger Ermittlungsstelle für NS-Verbrechen

Die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Ermittlung von NS-Verbrechen“ ist eine Bundesjustizbehörde, die 1958 im ehemaligen Ludwigsburger Frauengefängnis in der Schorndorferstraße 58 eingerichtet wurde. Hier finden seither die Vorermittlungen gegen NS-Täter:innen statt, bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Gerichte übernehmen. Aktuell gibt es nur noch sehr wenig zu tun für die Staatsanwält:innen, die hier beschäftigt sind: Die zuletzt Angeklagten, diejenigen, die in Konzentrations- und Vernichtungslagern, aber auch bei Erschießungskommandos oder an Schreibtischen Beihilfe zur massenhaften Tötung von jüdischen Menschen, von Sinti und Roma, von Queers oder rassistisch markierten Menschen, von Menschen mit Behinderung oder von Regimegegner:innen geleistet haben, sind bereits verstorben oder sehr, sehr alt.

Unser Kurs hat die „Zentrale Stelle“ also zu einem Zeitpunkt besucht, in dem sie selbst gerade dabei ist, Geschichte zu werden – und damit noch mehr als ohnehin schon zur Anlaufstelle für Historiker:innen, Studierende und Schüler:innen.

Bernd Kress, Lehrer für Geschichte und Religion an einem beruflichen Schulzentrum und mit einigen Stunden in die „Zentrale Stelle“ abgeordnet, hat uns einen Einblick sowohl in die Geschichte nationalsozialistischer Verbrechen von Ludwigsburg bis Auschwitz vermittelt, als auch in juristische Grundbegriffe („Was ist der Unterschied zwischen Mord und Totschlag?“) und in die Arbeit der Behörde und der Gerichte anhand des exemplarischen Falls Wilhem Boger.

Anhand von Quellen, insbesondere von Vernehmungsprotokollen aus den 50er und 60er Jahren, haben sich die Kursteilnehmenden ein Bild des Angeklagten und der Tatvorwürfe gemacht, sich mit den Aussagen der Be- und Entlastungszeug:innen und mit dem Thema Beweiswürdigung beschäftigt und sind selbst in die Rolle von Staatsanwält:innen bzw. Richter:innen geschlüpft.

Das Urteil, das Wilhelm Boger, der im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz politische Gefangene zum Teil zu Tode gefoltert hat, Anfang der 60er tatsächlich erhalten hatte, lautete auf 5 Mal lebenslänglich. Boger, in Stuttgart-Feuerbach geboren, lebte mit seiner Frau und seinen drei Töchtern nach dem Krieg noch über 10 Jahre unbehelligt in Hemmingen, bis die Zentrale Stelle durch einen eher zufälligen Hinweis auf seine Spur gestoßen ist und die Ermittlungen aufgenommen hat.

Nora Oehmichen